Der Aufstieg des Menschen in die dritte Dimension

Ein Punkt bewegt sich die Straße entlang auf dem digitalen Stadtplan, daneben steht „Noch 6 Minuten“. An einer Kreuzung hört der Punkt auf sich weiterzubewegen, erst nach einigen Sekunden springt er ruckartig vor und ändert die Richtung. Er folgt nun, Sprung für Sprung, der breiten Straße, die nach Osten führt, daneben steht: „Noch 4 Minuten“. Wieder hält der Punkt an einer Kreuzung, der weitere Verlauf seines Fortfahrens ist von hier vorauszusehen. Nicht, dass das die anfängliche Ungläubigkeit noch steigern würde, die ist längst dem Angewidertsein gewichen.

„Noch 3 Minuten“. Die Karte zeigt es nicht, aber es geht jetzt aufwärts. Der Punkt springt. Er springt erneut, und wieder kreuzt eine Straße, an der er stehen bleibt. Immer noch 3 Minuten. Eigentlich müssten es bereits 2 sein. Die Zahl ändert sich mit dem ersten Ruck nach vorne, auf den noch ein zweiter folgt, dann verharrt der Punkt. Es wird jetzt direkt spannend. „Noch 1 Minute“. Nach einer Minute steht es noch immer da. Das macht ungeduldig. Ob man will oder nicht. Will man nicht, ist das Obszöne, an dem man hier beteiligt wird, noch stärker zu spüren. Es taucht die Frage auf, ob das Obszöne hier nur sichtbar gemacht wird, oder ob die Sichtbarmachung ins Obszöne übersteigert. Unverändert „Noch 1 Minute“. Dann läutet es, auf dem Bildschirm steht nun „Ihre Lieferung ist da!“.

An der Fernsprechanlage ist eine Stimme zu hören, sie sagt etwas Unverständliches, das erraten lässt, dass es versuchtes Deutsch sein muss. Auf die nun nicht mehr angezeigte Wegbeschreibung folgt die Bitte, es noch einmal auf Englisch zu sagen. Etwas aus der Puste schleppt der Mann, der eben noch ein Punkt war, die umgeschnallte Wärmebox die letzten Treppen hoch. Die Übergabe soll kontaktlos erfolgen – so stand es in der Lieferbeschreibung. Der Mann, der auf dem Bildschirm eines anderen schon wieder Punkt ist, bekommt das Trinkgeld trotzdem in die Hand. Für den zurückgelegten Weg, der – wie zur Überprüfung – mitzuverfolgen war. Und gegen den Lohn, den er dafür bekommt. Als ob man sich so reinwaschen könnte.

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