Die deutschen Sprachen

Der größte Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern, meinte Karl Kraus, sei die gemeinsame Sprache. Tatsächlich bleibt es für den deutschsprachigen Südländer befremdlich, dass es im Norden „hagelt“, während es im Alpenvorland gerade einmal „graupelt“. Oder wenn bereits „klettert“, wer immerhin „berggeht“ – wobei im Norden schon ein „Hügel“ „Berg“ sein kann und „gehen“ „laufen“ heißt, was im Süden eher „rennen“ meint, dem aber die sprich- und auch die wortwörtliche „Gemütlichkeit“ gegenübersteht, die sich trotz oder wegen ihres gemeinsamen Gebrauchs in Süd und Nord kaum übersetzen lässt.

Schon für das Kind, das noch mit Einheimischenpass neben den mehr gelittenen als willkommen geheißenen „Preiß’n“ in der Schlange vor dem Skilift stand, hatte diese Sprache etwas Aufgeregtes, Ernstes, eben: Ungemütliches. Dazu kamen die harten Konsonanten und kurzen Vokale, denen die vertraute Melodie fehlte, und nicht nur die vertraute. Die Klarheit des Silben sparenden, parataktischen Satzbaus fügte dem sich ohnehin nicht sicher in den Bergen bewegenden Urlauber noch einen Anschein von Strenge und Genauigkeit hinzu, der aus fehlendem Anlass zu Strenge und Genauigkeit eine komische, bei gesteigerter Erregtheit tragisch lächerliche Wirkung machte.

Etwas geändert hat sich das von norddeutschen und somit auch den Münchener Touristen geprägte Vorurteil durch das bewusste Aufeinandertreffen mit den Rheinländern, die beim Sprechen ähnlich viele Wörter verwenden wie die „Baiern“ – nämlich um einer dem Humor bereits nahekommenden Übertreibung willen, die dem theaternahen Deutsch des Südens verwandt ist, auch wenn es im Süden eine Übertreibung höchstens nach unten gibt, ins Weinerliche und Morbide. Bis dorthin sind es viele Zwischentöne, Indirektheiten, Abweichungen (nicht nur der Konsonanten), die eine sprachliche Behaglichkeit zu schaffen vermögen und von einer Unaufgeregtheit zeugen, die dem katholischen Weltverständnis entspringt: Als Sterblicher braucht man nicht unbedingt „gut“ zu sein, „ned schlecht“ reicht allemal aus. Auch dem Schicksal wird bereitwilliger seine Macht gelassen („schau’n ma moi“), und in Anbetracht der Ewigkeit muss nicht gleich Buße getan werden („is scho guad“). Alles das kann, je nach Betonung, auch sein Gegenteil bedeuten, aber auch darauf braucht man sich nicht festzulegen, weil es immer noch die vielen Tonlagen der Unbestimmtheit gibt. Etwas sagen und dabei nichts sagen – das Ansehen der Habsburger Diplomaten hatte auch mit dem Sprachraum, aus dem sie stammten, zu tun.

Dass den Sprechern des moderne-, kontroll- und tataffinen Idioms der protestantischen Länder das Bairische häufig als beherzt, menschenfreundlich oder – im Fall des Wieners – gar höflich erscheint, dürfte jedenfalls schon zu einigen verspäteten Einsichten geführt haben, immerhin lautet eines der härteren Wörter des Südens „hinterfotzig“.

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