Ideenzoo

Heute fiel mir wieder der Astronaut ein. Er steht auf der Oberfläche des Mondes, der zwar groß, aber doch so klein ist, dass seine Kugelform erkennbar wird. Der Astronaut trägt einen weißen Raumanzug, das Visier, durch das er blickt, ist schwarz und spiegelt nicht. Mit dem Bild des Astronauten verbunden ist ein Ausschnitt des Badezimmers meiner Kindheit. Dort hatte ich, im frühen Volksschulalter, das Bild das Astronauten zum ersten Mal vor Augen – dachte ich und dachte es nicht. Ich fragte mich nämlich, ob ich vielleicht nicht schon ganz oft an diesen Austronauten gedacht hatte, ohne es zu wissen. Und wenig später, als ich erneut an den Astronauten dachte, ob es nicht vielmehr so ist, dass ich jetzt zum ersten Mal an ihn dachte, und meine Erinnerung, an das Bild, an das Badezimmer, nur eine Einbildung ist. Seither fragte ich mich das immer wieder, wenn ich an den Astronauten dachte – kann die Erinnerung an etwas eingebildet sein?

Eine anderes Kindheitsproblem, das sich dem anschloss, bestand in Folgendem: Ich stellte mir vor, dass ich bei angehaltener Zeit meine gesamte Zukunft sehen konnte – allerdings nur unter der Bedingung, dass ich alles vergessen würde, sobald die Zeit weitergeht. Alles Übernatürliche und Zauberhafte, stellte ich mir vor, existiert – allerdings außerhalb der bekannten Zusammenhänge, uneinholbar wie der eigene Schatten.

Verbunden mit einer Wiese, die heute halb zugebaut ist mit finanzierbar gewesenen Kleinbürgerträumen, ist die Frage, ob wir alle dasselbe sehen, wenn wir von Farben sprechen oder ob es nicht vielmehr etwas anderes ist, für das wir aber dieselben Wörter verwenden und immer verwenden können, weil das Verschiedene, das wir sehen, immer gleich bleibt. Mit einer Dachterrasse verbunden und zugleich einer Sommerwärme und dem Nachsilvestermorgen ist die Frage, ob es überhaupt einen Zeitpunkt gibt, wenn doch alle Zeiteinheiten unendlich oft geteilt werden konnten – das noch ganz ohne Bruchrechnung, sondern am Beispiel eines Holzscheits, der von einer Axt durchschlagen auseinanderfällt. Auf einem See schließlich, ebenfalls Kindheitslandschaft, mündeten diese, wie ich später einmal erfahren sollte, erkenntnistheoretischen Fragen in das Wunderschreckenserlebnis, in einem Moment vollen Bewusstseins zu begreifen, dass es überhaupt etwas gibt, wo es doch unendlich wahrscheinlicher wäre, dass es gar nichts gäbe, und dass das, das es da gibt, so aussieht, wie es eben aussieht, und dass das ja ganz unfassbar ist.

Manchmal kommen die Ideen von damals wieder. Dann begrüße ich sie und lasse sie erzählen. Ich selbst sage dann nicht viel. Ich wüsste auch nicht, was. Im Studium habe ich gesehen, wie sie in Vorlesungssälen vorgeführt wurden wie vor 150 Jahren Ureinwohner aus dem Kongo, die man eingefangen hatte wie Tiere und wie Tiere gefangenhielt. Man hat sie nicht erzählen lassen, man hat sie eingeordnet und gedeutet mit viel Sagen und Selbstbestätigung. Wie die Nackten wurden auch die Ideen eingekleidet mit Begriffen und Bewertungen, bis sie gesellschaftsfähig waren und denen, die meinten, Bescheid zu wissen, dienen konnten. So erging es allen – das Philosophieseminar als Eingliederungsveranstaltung. Und die Frage: Wer hat die Ideen am besten erzogen. Wem gehorchen sie schon, wie sie es sollen. Bei wem machen sie noch Probleme.

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