Auf Amtswegen

Bürgeramt Prenzlauer Berg, Haus 9, Vorgangsnummer 188786, „Was kann ich für Sie tun?“. – Wir saßen einander gegenüber, getrennt durch eine Plexiglasscheibe mit Durchlass nur für die Dokumente – Frau M., die zuständige Sachbearbeiterin, und ich, der mit dem Anliegen und dem Reisepass, um belegen zu können, dass ich der bin, der ich vorgebe zu sein. Alles Persönliche spielt hier keine Rolle: Frau M. und ich begegnen uns nicht, die Sache, die bearbeitet zu werden hat, verbindet uns nicht, die Höflichkeit, derer wir uns bedienen, lässt uns nichts davon spüren.

Im Anschluss meines Amtsganges denke ich noch einmal nach, was das eigentlich ist, „die Gesellschaft“. Ich erinnere mich, früher empfand ich, wie jeder, der noch nicht fest steht in der Welt, Gesellschaft als etwas Skandalöses, so sehr schien sie dem Bedürfnis nach Einzigartigkeit und Gemeinschaft, im Denken, im Fühlen, entgegenzustehen. Bei allem Offiziellen – Anträge, Lebensläufe, Tagungen – ein Unbehagen darüber, in Formeln angeredet zu werden oder aufgegliedert in ein paar Daten oder hineingestopft in Kategorien, auf die kein Mensch reduziert werden kann. Ich spürte deutlich die Kälte all dessen und sah nicht die Freiheit, die darin liegt, eben nicht persönlich gemeint zu sein. – In der Gesellschaft hat jeder seine Rollen, sie werden einem zugeschrieben, man wird in ihnen angesprochen, man kann sich ihrer bedienen, und die Entscheidung, ob man sich identifiziert mit ihnen oder nicht, bleibt einem selbst überlassen. Vor allem aber: Im öffentlichen Raum kann jeder sich, über alle Unterschiede hinweg, verständigen, ohne schon bekennen, ohne Gesinnung zeigen, ohne sich preisgeben zu müssen.

Dies an all jene, die durch mehr Sichtbarkeit in der Sprache die Gesellschaft gerechter machen wollen.

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