Herr und Knecht

Auf dem Gehweg vor mir eine kleine, dickliche Frau, links und rechts die Einkaufstaschen in Händen. Sie keucht durch ihren Mundschutz, den sie nicht abgesetzt hatte, nachdem sie aus dem Supermarkt gegangen war, dem günstigeren der beiden nah beieinanderliegenden. Eine andere Frau, von dem Schlag derer, die sich afrikanische Löwenhunde zulegen, fährt auf dem Fahrrad so mühelos die Steigung hoch, dass mir nach Jahren zum ersten Mal von allein einfällt, dass es ja Fahrräder mit elektrischem Antrieb gibt. Die Radfahrerin trägt einen weißen Helm und eine orangefarbene Warnweste, damit niemand sie übersehen kann in der Dunkelheit.

Die Frau am Gehweg keuchte weiter. Sie war schwarz, wie ich sah, als ich sie überholen wollte, es aber nicht tat, weil die beiden Frauen zu meiner Überraschung einander erkannten. Die Frau am Fahrrad hatte sie gegrüßt im Vorbeifahren und muss dann gemerkt haben, wie ich glaube, weil ich es gemerkt habe, dass die Frau am Gehweg, die zurückgegrüßt hatte, bereits mehr in ihrer Begegnung sah. So blieb die Radfahrerin stehen und kam noch ein Stück auf uns zu, lächelnd mit dem Gesicht einer Juristin. Sie sprach den englischen Vornamen der Frau mit den Einkaufstaschen aus, und es wirkte, als hätte eine Lehrerin zufällig eine schon erwachsene Schülerin getroffen, die sie noch an den Stoff für die nächste Stunde erinnern wollte.

Die Radfahrerin hörte ich, bereits in meinem Rücken, sagen, dass sie direkt aus der Botschaft komme, und dass einer der Söhne gerade beim Fußball, der andere aber schon zu Hause sei. Die Frau mit den Taschen sagte etwas in gebrochenem Deutsch, die Radfahrerin sprach weiter in selbstbewusstem, ich dachte: gerechtfertigtem, laut und langsam, damit alles verständlich sei. Die Kinder waren kein kleinster gemeinsamer Nenner von Nachbarn oder entfernten Bekannten, denn um die der Frau mit den Taschen ging es nicht, die beiden Söhne sollten vielmehr auch ihre Angelegenheit sein. Sogleich bekam ich ein Bild von ihnen in derselben Sicherheitsmontur wie ihre Mutter, die sich in meiner Vorstellung zu einem Schutzanzug verändert hatte, in dem der Kontakt mit den Leuten auf der Straße gefahrlos möglich wird.

Zunehmend unverständlich hörte ich die Frauen weitersprechen, die eine mehr als die andere, beide freundlich, doch waren es zwei Arten von Freundlichkeit, und nur eine der beiden wird sich danach gut damit fühlen. – Vorausgesetzt, die Bezahlung ist hoch genug gegen das schlechte Gewissen.

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