Was du heute kannst besorgen

Wir hatten monatelang damit gewartet. Aus dem Dolby-Surround-System schallte Musik – ABBA I have a dream, Jennifer Rush The Power of love, Simon and Gurfunkel El condor pasa. Wir liefen mit erhitzten Gesichtern durch die Zimmer des Hauses und waren in Hochstimmung. Stunden vergingen, das Tageslicht verblasste und das elektrische wurde eingeschaltet. Wir beugten uns über Toiletten, knieten auf rauen Teppichböden, legten unsere Wangen aufs kühle Parkett und spähten in Ritzen und Spalten, fischten mit den Händen nach kaum erkennbaren Gegenständen. Wir wühlten in Schubladen, versanken in Erinnerungen, streckten uns nach Unerreichbarem und wirbelten Staub auf. Vergossen Wasser auf dem Boden, warfen Lappen nacheinander und alles, was herumlag, auf Haufen.  Mit Andacht und Schrecken betrachteten wir schließlich das Bild vollendeten Chaos und dachten: So schlimm sahs noch nie aus!

Man hatte uns ermahnt: Jedes Ding brauche seinen Platz, an den es beständig zurückversetzt werden müsse und mindestens wöchentlich sei das durch Saugen und Wischen zu ergänzen. Wir hatten eine Reihe von Argumenten dagegen aufgefahren: Warum sollten wir, wenn die Unordnung uns ja nicht stört? Warum sollten wir, wenn die Maßnahmen doch ohne nachhaltigen Erfolg wiederholt werden müssen? Warum sollten wir, wenn wir doch jung sind und unsere frischen Gehirne sich gut erinnern können, wo wir unsere Siebensachen gelassen haben?

Vor allem aber wussten wir, welche verwandelnde Wirkung der Aufschub hatte: Aus der nüchternen Zwangsarbeit wurde ein gemeinsames Fest des Schrubbens, Werfens und Klaubens, das anstelle eines Katers ein heroisches Gefühl der Macht hinterließ, uns auf einen Schlag einen Überblick über unsere Besitztümer verschafft und uns gegenüber dem Eigenwillen der Dinge behauptet, sie zuerst durcheinander gewirbelt und dann unter Kontrolle gebracht, sie sortiert, gefaltet und eingeräumt, die Anhänglichsten unter ihnen — gerade auch solche, wie Teddybären oder Steine, die uns einstmals am Herzen gelegen hatten —  ins Mülltonnenexil verbannt, die Verstecktesten unter ihnen – einen verlorengeglaubte Sache macht mehr Freude als eine neu Gewonnene — ans Licht gezerrt, und uns selbst Raum zum Atmen verschafft  zu haben.

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