Der Reise statt 2
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Das Denken beginnt mit dem Kategorisieren. In: Nützlich – nicht nützlich. Angesehen – unangesehen. Angesagt – versagt. Mehr – nicht. Mit jedem Mal eine weitere Schlinge, die einen, sich straffend, fester bindet, bis man erstickt an dem Pfahl, der man selber ist.
Das Denken beginnt Weiterlesen »
Mittleres Alter, 1,90, Lederjacke, Jeans. Breitbeinig besetzt der Mann den Vierersitz, einerlei ob in oder gegen die Fahrtrichtung, es ist gegen geworden. Der Schal rot-orange-lila, an der Stirn eine senkrechte Narbe. Sein Blick fällt in ein Buch, das zwischen den zappelnden Beinen mitwackelt. Lesen als Handeln, mit aller Aufmerksamkeit, als sei etwas mit den Buchstaben,
Der Wille scheint mir eine deutsche Angelegenheit zu sein. Jedenfalls hat man hier zu wollen. Verbunden mit dem Willen ist die Anstrengung. Schwer zu sagen, ob ihr der Wille vorausgeht, ob er ein Teil von ihr ist oder das Hinzukommende, das die Anstrengung ins Ziel bringen soll. In Anstrengung steckt streng. Auch der Wille kommt
Vorbei die Zeiten, wo Weiterlesen »
Der Mensch, das Prüfungstier, ist draußen auf Bewährung. Seine größte Furcht: Der Mangel an Beweisen. Also aufs Spiel setzen, ernst machen, durch Bestehen was werden. Was ihn lockt: Die andere Seite, von der man auf sich zurückblicken kann wie auf einen Ertrunkenen, hinuntergetaucht durch eigene Hand. Ist das Hindernis, das man sich selber war, überwunden,
Sich groß fühlen und Größe haben … Weiterlesen »
Es ist noch nicht lange her, dass ich die Kinder von Kleinbürgern Dinge sagen hörte, die eine gegenteilige Herkunft bezeugen sollten – da war man nicht Deutscher, sondern Europäer, sorgte sich um die Demokratie, war überzeugt, die Bildung (die einem von wem bezahlt wurde?) mache einen zu einem anderen, besseren Menschen (als?). Es wurden jede
„Nazis raus!!!“ läuft als Digitalanzeige quer über die Rückseite des Helms des Radfahrers wie auf den Endlosreklamestreifen in Apothekenschaufenstern. Er fährt mit seinem Schriftzug durch das Viertel, in dem sich die Leute etwas darauf zugute halten, ganz bewusst Zeichen zu setzen. Er selbst aber sieht nicht aus wie einer von ihnen, eher wie einer, der
Selbstbeschwörung Weiterlesen »
Daniil Charms’ Fälle in der Kellerfensternische gegenüber der Bar, in der sie Heidelberg nicht mögen, wie ein Zeichen – die Linksintellektuellen gehen. Sogleich das Bild von anderen Nischen, noch unverputzten, in denen ganze Stapel stehen mit Bänden Sinn und Form darin. An Kartons, in denen alte rororos liegen geblieben sind, schwarz-rot, 42 Zeilen die Seite
Den echten Leser Weiterlesen »
Der Hauptbahnhof ist bereits Peripherie. Ein Zentrum mag es geben, sehen lässt es sich nicht. Erster Eindruck: Hier war etwas einmal Zukunft, bevor es vergessen wurde. Leere Gänge, leere Rolltreppen, die wenigen Leute stehen weit auseinander, wohlverteilt wie die Häuser. Mehr Platz, als gebraucht wird, und man denkt an Worte wie ‚großzügig’ und ‚licht’ und
Duisburg-Marxloh oder Schwelgern ist ein Tunwort Weiterlesen »
Die jungen Männer gegenüber, alle drei, mit akkurater Frisur, wortkargen Gesichtern, T-Shirts ohne Aufdruck, Geräten in der Hand. Einer von ihnen trägt Brille, mit dicken Bügeln, schwarzer Fassung, Typ sporttauglich-kompakt. Trügen die beiden anderen Brille, es wäre die gleiche oder eine ähnliche. Wahrscheinlich, denke ich, könnten sie ihre Leben tauschen, ohne sich verstellen zu müssen.
Der Spiegel der S. Weiterlesen »
Es gibt ihn noch, den Bildungshuber und Kulturhansdampf, der sein Publikum von sich beeindruckt wissen will durch Künstlerhut, Bildungsprech und da und dort gelassen hingeworfenen Namen von Bedeutung. Wer ihn sucht, wird fündig nahe der, wie man sagt, Bildungszentren, aber nicht zu nah. Hier, wo Leute aus einer Mischung aus Unwissen, Unterscheidungsbedürftigkeit und echtem Kunstempfindenwollen
Die Wüste nötig haben wie einen Schluck Wasser. Klapperschlangen, und irgendwo ein brennender Dornbusch. Kakteen. Dazwischen eine verdurstete Cola.
Die Sahara schwebt im Safranhimmel, ummilcht die Berge, taucht in Filmlicht, wie die Leute auf Festtagsausflug vom Fluss her den Stadtplatz hinaufziehen, die anderen ihnen entgegen kommen, durch und durch normal. Es scheint, als trüge einer hier sein In-der-Welt-Sein so selbstverständlich wie das Flanellhemd unter der Polyamidweste, die Glitzergürtelschnalle über der mit Strasssteinen besetzten Jeanshose,
Täglich fliegen die Dohlen ein, setzen sich auf die Brüstungen, die Zäune, die Spielgeräte auf dem Spielplatz. Fünfzig vielleicht, die allesamt im Auge behalten, was die anderen machen. Ob die was zu fressen finden, die die Dachrinnen entlangwandern, die Wiesen und den Asphalt absuchen, sich zu dritt in die Vogelhäuser zwängen, stets beobachtet von den
Was soll das überhaupt für ein Wort sein – ‚unbedingt’? Was für kein Ding? Die Sträflingskugel am Fuß? Warum muss man dann etwas unbedingt tun? Und wer das aller sagt – und wozu! Das müsst ihr unbedingt machen, das musst du unbedingt gesehen haben, unbedingt will ich da noch hin. Ein Wort wie der Kleinbagger,
Zulässige Höchstgeschwindigkeit 20 km/h Weiterlesen »
Sehnsucht nach der Peripherie in sich. Wo Dinge rumliegen, die keiner braucht und die auch nichts wollen. Wo nichts zu tun ist, höchstens was zu finden – und auch das braucht nicht sein. Eine Brache mit einem weggeworfenen Gartenstuhl. Oder, am Rande eines Waldstücks, schon ein wenig drin, ein Sammelplatz für Autoreifen, bei dem man
Nichts aus sich machen, nicht an sich arbeiten, kein Ziel verfolgen, keine Erfolge erzielen, schlechter werden, Fehler machen, unfreundlich sein, unzufrieden sein, untätig, tatenlos, ahnungslos, Durchschnitt, sich nicht einmal schämen, sich klein machen, sich Feinde machen, sich dem Schicksal überlassen, sich langweilen und andere, die Zeit verschwenden, keinen Plan haben, scheiße aussehen, das so lassen,
Früher war Warten Zeitverschwendung. Ich wollte schnell fertig werden, woandershin, wo was passiert, die Zeit nützen, deshalb zumindest ein Buch dabei haben, das sich aber nie so recht lesen ließ, denn das Warten war nicht einfach nur Dasitzen oder Dastehen, das Warten war Gezogenwerden, Eingespanntsein in eine Frist, das immer etwas abfließen ließ von der
Manche gehen durchs Leben, als hätten sie einen Termin mit ihm vereinbart, den es jetzt gefälligst einzuhalten hat. Sie deuten die eigenen Unzulänglichkeiten um zu einem Vorrecht auf besondere Behandlung, das eigene Leiden als Anlass zur Bewunderung. Sind sie von anderen abhängig, sehen sie den Diener in ihnen. Worin sie nicht gut sind, das wird
Zu viert sitzen sie am Tisch, rote Wangen, glänzende Augen, vor ihnen aufgefächert die Karten. Sie spielen noch ein Kinderspiel, während die Körper schon fraulich sind, erhitzt und haltlos zwischen den Erschütterungen, die das sie überdrehende Leben aus ihnen hervorsprengt. Einer zerreißt es wieder und wieder das Gesicht, halb ekstatisch, halb gequält, dann Luft holen,
Wer will man gewesen sein? Was erreicht, gemacht, erlebt haben bis 30, bis 40, oder, Überschrift ganzer Listen zum Abstreichen und Punktesammeln: ‚before you die’. Das Leben wird im Futur II geschrieben und ein jeder ist sein eigener Kurator, als ob es eine große Endausstellung auszurichten gäbe mit Sektempfang und voll Vorerwartung auf das Publikum,
Das Leben ein Entwurf Weiterlesen »
Manchmal meine ich eine Ahnung zu haben, wie die Dinge sich zeigen könnten, wenn das Leben, allmählich, zuende geht. Die Monate und die Wochentage werden dann alte Bekannte sein, Begleiter, auf die man jederzeit zählen konnte. Dienstag, Mittwoch, September – man nickt ihnen zu zum Gruß und schätzt ihre Gegenwart. Selbiges beim Tag, dem Mond,
Die Rückkehr der Dinge Weiterlesen »
10 Jahre Berlin. Anlass, wieder einmal nachzudenken über damals, als ich hier ankam, oder aufschlug, wie gesagt wird, weil es irgendwie wilder klingt oder abgebrühter. Ich war damals, gerade noch, selbst in dem Alter, in dem man diese Abgebrühtheit haben oder, weil man sie nicht hat, ausstellen will, um vorzugeben: Ich weiß Bescheid, mir macht
Der Wal als Spiegel Weiterlesen »
Beim Wiederlesen von Handkes Jugoslawienbüchern ein ähnliches Gefühl, Zeuge einer Konsternierung zu werden, wie bei Pasolinis gesammelten Gesprächen. P.s Volk, für das er sich die Revolution wünscht, die es aber gar nicht machen will, ist bei H. jenes, das einen eigenen Staat möchte, obwohl es das – eigentlich – gar nicht tue. P. muss zusehen,
Die nach außen zurückgestülpte Heimat Weiterlesen »
„Schicksalsfähig“. Der Begriff hat sich vor Tagen eingegeistert und will etwas von mir, wie ein Hund, der vor einem sitzt und darauf wartet, dass man jetzt das Hunderichtige tut. Gehe ich auf ihn zu, wedelt er mit dem Schwanz, bereit zu folgen. Aber wohin? Klar, „schicksalsfähig“ ist das Gegenwort zu den vielen Schicksalslosen, als die
Dialektsprecher des Lebens Weiterlesen »
Wer sehen will, wie es um das freie Denken steht, betrete die Institutsflure. Dort hängt es aufgespießt an Korkwänden als Ankündigungen von Vortragsreihen und Workshops. Wer wissen will, wie es dazu gekommen ist, möge weitergehen auf PVC-Quadraten unter Neonlicht und Knöpfe drücken, die automatische Glastüren öffnen. Die Gänge sind fensterlos, hin und wieder kommt man
Die unbegrenzten Möglichkeiten Weiterlesen »
Heute fiel mir wieder der Astronaut ein. Er steht auf der Oberfläche des Mondes, der zwar groß, aber doch so klein ist, dass seine Kugelform erkennbar wird. Der Astronaut trägt einen weißen Raumanzug, das Visier, durch das er blickt, ist schwarz und spiegelt nicht. Mit dem Bild des Astronauten verbunden ist ein Ausschnitt des Badezimmers
Wenn andauerndes Beauftragtsein selbst die kleinsten Nischen abflacht, in denen man, zumindest kurz mal, verschwinden möchte, durchatmen, einen Gedanken fassen, ganz nutzlos, möglicherweise schön. Dann verschwindet man in etwas anderem, werkzeugähnlich, klar ausgerichtet, Nicht-Ich wie nichtig. Manche suchen das: Selbstauflösung im Ganzbeanspruchtsein, keine Probleme mehr mit sich und dem, das da denkt. Drücken die Flügel
Man erhält zur Sicherheit keinen Warnhinweis: Bei dauerhaftem Gebrauch Gefahr größer werdender Selbstunterbietung. Wie hoch der Preis der Sicherheit ist, wird verschwiegen. Mag sein, weil sie vielen wie umsonst erscheint – denen, die nie genialisch waren oder sich so fühlten. Oder aber es haben zu wenige auf der Freiheit gekippelt, ein Abgrund vorne, einer hinten.
Zur Sicherheit (1) Weiterlesen »
Unten, wo die Umkleiden sind und die Pumper, übertüncht den Schweißgeruch eine ranzige Süße. Die Schließfächer, glatt und dunkel, scheinen überzogen von einem klebrigen Film aus Deo und dem Desinfektionsmittel, unter das einer mit schädeliger Frisur die Hände hält. Es läuft elektronische Musik, ohne die es hier still wäre, weil niemand etwas sagt, höchstens einmal
Eine junge Frau, zwei junge Männer, alle drei braungebrannt, haben sich, im ganzen Wagen hörbar, an einen der Vierertische im offenen Abteil gesetzt. Sie waren auf dem Weg nachhause, wo die Party nach 72 Stunden Festival gleich weitergehen soll. Bei Essen aus der Tubberbox erzählen sie sich die letzten Tage noch einmal nach, wechselnd zwischen
Die blinden Passagiere Weiterlesen »
Geiz: Überwinden. Enge: Überwinden. Feigheit: Überwinden. Kleinlich sein: Überwinden. Kleinmachen: Überwinden. Auftrumpfen: Überwinden. Starr sein: Überwinden. Rumjammern: Überwinden. Machen doch alle so: Überwinden. Aber ich wollte doch bloß: Überwinden. Sich bestrafen: Überwinden. Sorgen machen: Überwinden. Glotzen, Gaffen, Fresse ziehen: Überwinden. Bildung: Überwinden. Besserwissen: Überwinden. Aufklärung: Überwinden. Unselbständig: Überwinden. Ich ich ich: Überwinden. Sich beweisen: Überwinden.
Die Sprache gebiert den Paaren Kinder, auch den kinderlosen – gerade ihnen. Alle bekommen eins, seit das Draufschauen und Auseinandernehmen, das Überprüfen und Bewerten eingesickert ist in die Denk- und Sprechweisen auch derer, die sich nicht haben hochzüchten lassen zu akademischen Weltbewältigern. Unbefleckte Empfängnis im Sprechakt der Bezeichnung – das Kind, nackt und im Unklaren
Im Anfang war das Wort Weiterlesen »
Seit Wochen versucht das Ringeltaubenpaar in der Einbuchtung eines schießschartenschmalen Badzimmerfensters ein Nest zu bauen. Seit Wochen ist täglich zu sehen, wie eine von ihnen, während die andere, mal nach vorne, mal nach hinten gewandt, zwischen den Maurvorsprüngen sitzt, Zweige bringt – allesamt zu lang, um sie quer in Höhle zu legen, zu lang auch,
Was ist zu tun in einer Welt, die in solch einer Geschwindigkeit und Dimension umgebaut wird, dass kein Denken es mehr fassen kann, wird Heidegger gefragt im mittlerweile berüchtigten Spiegel-Interview vom 31. Mai 1976, das eigentlich zehn Jahre früher entstanden ist, aber erst nach Heideggers Tod veröffentlicht werden durfte. In dem an Ungesagtem allzu reichen
Manche Menschen gehen wie Formelsammlungen durch die Welt, als ließe sich alles, worauf es ankommt, in Terme und Variablen fügen. Das Leben wird so selbst zu einer Ansammlung von Gleichungen, Aussagen und Lösungen, überprüfbar, kontrollierbar, disqualizifierbar das, was sich nicht logisch darstellen lässt. Dass die Zahlen und Zeichen, mit denen sie umgehen, ihre eigene Geschichte
In einer Welt, in der niemand mehr lügt, bringt die Wahrheit zurück, wer als erstes wieder damit anfängt. Der Satz lag am Wegesrand auf der Suche nach einer Analogie für die angebliche Rückkehr des Krieges. – ‚Angeblich’, weil es keine eigentliche Rückkehr ist, sondern eine räumlich vermittelte Wiederbewusstmachung, die unbequemer ist als die freiwillige Selbstbeschäftigung
Krieg im Frieden Weiterlesen »
Auf dem Gehweg vor mir eine kleine, dickliche Frau, links und rechts die Einkaufstaschen in Händen. Sie keucht durch ihren Mundschutz, den sie nicht abgesetzt hatte, nachdem sie aus dem Supermarkt gegangen war, dem günstigeren der beiden nah beieinanderliegenden. Eine andere Frau, von dem Schlag derer, die sich afrikanische Löwenhunde zulegen, fährt auf dem Fahrrad
„Ja, sorry!“, sagt das Kind zum anderen, dem weinenden, wie es das von seinen Eltern gelernt hat, die es sich gemütlich gemacht haben in ihren Sprechweisen wie in ihren abgesicherten Lebensverhältnissen. Ein ‚Entschuldigung’ ist das nicht, das klänge nach Eingeständnis, und Eingeständnis wäre, das hat das Kind bereits gelernt, Schwäche. ‚Sorry’ dagegen ist irgendwas. Ein
Trägheit des Herzens Weiterlesen »
Erleichterung, wenn noch jemand weiß, dass etwas Sinn ‚ergibt’ – oder es zumindest sagt und damit teilhat an einem älteren, in der Sprache – noch – aufbewahrten Wissen, das allmählich verloren zu gehen droht. Stattdessen die Behauptung – denn mehr als eine Behauptung ist das nicht –, dass etwas Sinn ‚macht’. Und eigentlich nicht ‚etwas’,
Man sagt, es gibt die, die schreiben müssen, und die, die es wollen. Es ließe sich bei denen, die es wollen, noch ein ‚nur’ einfügen und es wäre gekennzeichnet, woran es ihnen fehlt: dem Unbedingten, dem Opferbereiten, von mir aus auch: dem Existenziellen. Wer nur schreiben will, wird Journalist oder Sachbuchautor. Wer nur schreiben will,
Die, die mit dem Leben spielen, und die, die mit ihm spielen Weiterlesen »
Punkt 18 Uhr 30 setzte ich mich in die leere Bar, in der ich noch sitze, untypisch für mich, mit dem Rücken zum Eingang an den Tresen. Ich wartete auf das Aufgehen der Eingangstür, um zu sehen, ob es zu irgendeiner Veränderung führt, ich bemerkte, als die Tür aufging, keine. Wer eintritt, dachte ich, wird
Der zweite Morgen Weiterlesen »
Die alte Heimatstadt ist zur Geisterstadt geworden. Nicht zu einem der verlassenen Orte, wie es sie in Brandenburg oder Colorado gibt. Vielmehr ist die alte Heimatstadt selbst zu einem Geist geworden – wie eine zweite Wirklichkeit liegt sie dem hier Aufgewachsenen, später Fortgezogenen vor der heutigen, der umgebauten und modernisierten. So scheint der Garten des
Das Gute und das Bessere Weiterlesen »
Ein Western von John Ford mit John Wayne und das Schreiben kommt einem zwei Wochen lang fragwürdig vor. Dann will man auch nichts mehr sagen, was nicht so notwendig ist, dass es sich von selbst durch das viel angemessener wirkende Schweigen zwängt. Dann ist nur noch Lakonismus möglich, oder man zieht sich die Sprache an
Der Fatalismus reitet aufrecht Weiterlesen »
Das Kind will mit neuen Texten gefüttert werden, als ob man immer etwas zu sagen hätte. Vier Wochen Schweigen hier, vielleicht mehr – ich weiß es gar nicht. Es nimmt dem Kind die Macht – soll es doch schreien, es wird wieder aufhören. Hat es auch. Jetzt ist es still und man kann wieder etwas
Die Wörter, die Wörter, die Wörter Weiterlesen »
Ein Punkt bewegt sich die Straße entlang auf dem digitalen Stadtplan, daneben steht „Noch 6 Minuten“. An einer Kreuzung hört der Punkt auf sich weiterzubewegen, erst nach einigen Sekunden springt er ruckartig vor und ändert die Richtung. Er folgt nun, Sprung für Sprung, der breiten Straße, die nach Osten führt, daneben steht: „Noch 4 Minuten“.
Der Aufstieg des Menschen in die dritte Dimension Weiterlesen »
„Die Vietnamesen haben ja wenigstens noch gekämpft!“, sprach markig der Herr im Sakko ins Handy am Ohr, als er an mir vorbeieilte im Bürgerkampfgebiet mit den Verniedlichungsformen auf den Ladenschildern. Vom Krieg meint man hier ja vielleicht zurecht etwas zu verstehen – eine legitime Täuschung, sozusagen. „Ein Jahr lang haben die sich noch gewehrt gegen
Jedes Mal, wenn mir jemand, meist männlich und in Bomberjacke, begegnet, dessen Gesicht und Hals überzogen sind mit eintätowiertem Dornenornament oder den alten Erkennungszeichen der Häfltlinge, fällt mir ein Begriff aus dem Eisfach Luhmannschen Verwaltungssprechs ein: ‚Komplexitätsreduktion’. Gemeint sind: Vereinfachung von Entscheidungswegen und Verringerung von Ungewissheit – neben Zugehörigkeit, Anerkennung und Verbindlichkeit die Hauptmittel gegen
Statt eines Textes hier, ein Text dort. Der Zusammenhang ist ein kausaler. https://www.philomag.de/artikel/kampf-um-die-kuhglocke
Heimat, Pasolini und die Verkleinbürgerlichung des Menschen Weiterlesen »
„Das war immer schon so“ war ein Argument, das wir anzuerkennen nicht gewillt waren, mehr noch: Wir sprachen ihm die Eigenschaft, überhaupt ein Argument zu sein ab und hinterfragten eifrig. Dabei dachten wir, die trotzdem nicht von ihrem Standpunkt Abzubringenden machten es uns leicht, sie zu widerlegen – oder, eigentlich, zu überführen. Ihre Abneigung, auf
Im Bewusstsein Weltneuheit zu sein Weiterlesen »
Soll man jeden Abend den noch nicht gelobten Tag prüfen, fragte ich mich letztens ohne echte Veranlassung, erinnerte mich aber sogleich, dass nicht unbedeutende Philosophen, vielleicht sogar Weise (ich bin nicht mehr sicher, welche), dringend dazu raten. Ich meine, auch Lebensratgeber tun das, Berufsratgeber sowieso, um die Leser anzuhalten, beständig an sich zu arbeiten. Drei
Auch einmal nachdenkend über den geglückten Tag Weiterlesen »
Der Sohn saß mit gesenktem Kopf auf dem Friseurstuhl, in den Händen das Gerät, auf dem es Punkte zu sammeln galt oder Gegner zu zerstören oder Hindernissen auszuweichen. Ihm wurden die Haare geschnitten von einer Friseurin ganz in Schwarz, über deren Können aus dem Hintergrund, mit über die Stirn geschobener Sonnenbrille, die Mutter wachte. Bei
Der falsche König Weiterlesen »
Als letzte Woche beim Europameisterschaftsvorrundenspiel zwischen Dänemark und Finnland der Däne Christian Eriksen ohne Fremdeinwirkung auf den Rasen fiel, dort seltsam unbewegt liegen blieb, man schließlich seine ins Nichts starrenden Augen sehen konnte, war es, als kehrte ein Gegner aus uralter Zeit zurück, von deren Moder er sich Schockwellen verbreitend abschüttelte. In das Spiel brach
(Ent-)Scheiden können Weiterlesen »
Beim Vormittagsspaziergang durch die gesäuberten Viertel in Prenzlauer Berg überall Zeugnisse davon, dass hier lebt, wer sich selbst gehorcht. Wer sich nämlich nicht selbst gehorcht, muss anderen gehorchen – sagte auf Bibeldeutsch schon Nietzsche und sprach vom Willen zur Macht. Leistung muss sich lohnen, sagen die bürgerlichen Parteien – dass sie die Selbstdisziplinierung mitmeinen, bleibt
Geschafft haben, geschafft sein Weiterlesen »
Die kurze Form fordert die Bereitschaft zur Halbwahrheit. Dabei wird einem an den Universitäten, zumal in den Geisteswissenschaften, doch beigebracht, zu differenzieren. „Aber das kann man so nicht sagen!“, höre ich schon jemanden rufen, die Hand noch nicht einmal erhoben, um dem Seminarleiter zu zeigen, dass er einen Gegenstand auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten
Die ganze Wahrheit Weiterlesen »
Wer so tut, als bringe er die Menschen zum Nachdenken, den lieben sie. Wer sie wirklich zum Nachdenken bringt, den hassen sie. – Seit ich den Spruch, der Huxley (Aldous) zugeschrieben wird, zum ersten Mal gelesen habe, kommt er mir alle paar Tage in den Sinn. Seit Jahren. Dabei könnte er es sogar jeden Tag
Kulturelle Kapitalisten Weiterlesen »
Mir fällt auf, dass ich das Wort „eben“ in einer Häufigkeit verwende, in der ich das – ich bin mir dabei ziemlich sicher – früher nicht getan habe. Bestimmt gibt es für die jeweiligen Lebensabschnitte Signalwörter, deren Verwendung anzeigt, in welchem man sich gerade befindet – und in welchen nicht. Die W-Fragen sind die Wörter
Die jugendliche Niederlage Weiterlesen »
Es gibt Augenblicke der Muße, die eignen sich besser zum Schreiben als der in Gras und Halbschatten verbrachte Nachmittag mit leichtem Wind zwischen den Birken und Vogelgezwitscher. Auch das Lesen fällt schwer, so wie im Fernzug, wenn der Blick durch die getönten Scheiben zu den Landschaften geht. Ich kann nicht sagen, ob es die Fülle
Nachmittag im Freien Weiterlesen »
Schaut man die Prenzlauer Allee zum Alexanderplatz hinunter, ist das Hotelgebäude mit der park inn-Aufschrift zu sehen, in dem nachts in einigen ausgewählten der vielen hundert Fenster Licht brennt, sodass über die gesamte Front die Form eines leuchtenden Herzens erkennbar wird. Das Hochhaus selbst ist Ausweis der Hässlichkeit und der städteplanerischen Geistlosigkeit des Alexanderplatzes, die
Das Leben als Kunstwerk. In dem Moment, als das Nützlichkeitsdenken um sich zu greifen begann, war auch schon der Topos für den Rückzug ins Ästhetische zur Hand. In ihm haben allein die Zwecke Wert, namentlich das Schöne und Wahre. Nur ihnen dürfen die sie schaffenden Absichten Mittel sein, niemals einem Außerhalb. Was zählt, ist das
Künstler, unabhängig Weiterlesen »
Eine der Eigenarten, die Jean Pauls Schulmeisterlein Wutz so vergnüglich macht, ist die Weigerung, seiner Armut wegen auf eine gut ausgestattete Bibliothek zu verzichten. Statt sich die Bücher vom Mund abzusparen, sucht Wutz im jährlichen Messekatalog nach den Titeln der wichtigsten Neuerscheinungen und schreibt den Text dazu einfach selbst: Rousseaus Bekenntnisse, James Cooks Reisetagebuch, Kants
Bücher und Titel Weiterlesen »
Bei merve zu lesen vier Gespräche zwischen dem sich selbst in Anführungszeichen setzenden Maoisten Joachim Schickel und Carl Schmitt. Vor allem ihre Diskussion über den Partisanen und das Freund-Feind-Thema ist fruchtbar, beide sind an der Sache orientiert, gegenseitige Wertschätzung ist zu spüren. Auch Benjamin und Taubes, beide selbst- oder fremdernannte Gegenspieler Schmitts, haben sich in
Beim Verfassen des vorangegangenen Textes über den Fußball ein seltsames Gefühl der Befremdung. Bereits mit den ersten Sätzen drängten sich Begriffe einer vorgefertigten Sprache auf. Es dürfte sich früher schon nicht gelohnt haben, über den Fußball zu schreiben. Eine Flanke ist eine Flanke, sie wird geschlagen. Das noch einmal zu sagen wirkt abgegriffen, es anders
Die Sprache zur Zeit Weiterlesen »
Als ich zuletzt in einem Neuköllner Bücherantiquariat war, unterhielten sich der Antiquar und ein Stammkunde über die Verbürgerlichung des Fußballs. Sie zeichneten sie nach vom arbeitsteiligen Kick-and-Rush der englischen Arbeiterklasse hin zum alle gleichermaßen einbindenden Ballbesitzfußball à la Guardiola in Zeiten der familienfreundlichen Stadien und des Investments. Hatten die nach dem politisch begründeten Ausschluss Jugoslawiens
Bürgerliches Trauerspiel Weiterlesen »
Anders als man denken könnte, sind es nicht so sehr die eng an die Zustände und Personen seiner Zeit gebundenen Bezüge, die Heines Wintermärchen heute fern erscheinen lassen. Es ist seine vermeintlich allgemeingültige Forderung nach Freiheit, die es fremd machen in einer Zeit der Übererlaubtheit, in der einem die Mächtigen sagen, man müsse von seiner
Freiheit von, Freiheit zu Weiterlesen »
Bürgeramt Prenzlauer Berg, Haus 9, Vorgangsnummer 188786, „Was kann ich für Sie tun?“. – Wir saßen einander gegenüber, getrennt durch eine Plexiglasscheibe mit Durchlass nur für die Dokumente – Frau M., die zuständige Sachbearbeiterin, und ich, der mit dem Anliegen und dem Reisepass, um belegen zu können, dass ich der bin, der ich vorgebe zu
Der größte Unterschied zwischen Deutschen und Österreichern, meinte Karl Kraus, sei die gemeinsame Sprache. Tatsächlich bleibt es für den deutschsprachigen Südländer befremdlich, dass es im Norden „hagelt“, während es im Alpenvorland gerade einmal „graupelt“. Oder wenn bereits „klettert“, wer immerhin „berggeht“ – wobei im Norden schon ein „Hügel“ „Berg“ sein kann und „gehen“ „laufen“ heißt,
Die deutschen Sprachen Weiterlesen »